Der neue Bericht des Club of Rome – „Rising Inequality Risk Regional Collapse and Climate Catastrophe

Vor einigen Tagen veröffentlichte der Club of Rome eine neue Studie unter dem Namen „Earth for All – A Survival Guide for Humanity“. Diese Studie wurde in einem mehrjährigen Forschungsprojekt von zahlreichen Wissenschaftlern verfasst und beleuchtet, inwiefern Veränderungen des wirtschaftlichen Systems die Zukunft der menschlichen Zivilisation beeinflussen.

Innerhalb des Berichtes stellen die Forscher zwei Szenarien vor; Too Little, Too Late (Zu wenig und zu spät) sowie The Giant Leap (Der Große Sprung); diese Szenarien bewerten, wie Bevölkerungs-, Wirtschafts-, Ressourcen- und Verschmutzungsentwicklungen der Zukunft aufgrund Entscheidungen innerhalb dieser Dekade langfristig beeinflusst werden.

Das Too-Little-Too-Late-Szenario beschreibt eine Situation, in der die Welt in ihren ökonomischen Bahnen der letzten vierzig Jahre weiterfährt, sodass Ungleichheit und soziale Spannungen innerhalb sowie zwischen Ländern zunehmen; damit sei ein adäquates Begegnen der Probleme des Klimawandels nur eingeschränkt möglich, der Lebensstandard sinke entsprechend.

Das Giant-Leap-Szenario präsentiert hingegen einen möglichen Lösungsweg, durch welchen der Temperaturanstieg bis auf unter 2°C begrenzbar sei; zudem stabilisiere sich dabei die Weltbevölkerung auf etwa neun Milliarden Menschen bis 2050, die alle nicht mehr in Armut leben müssten. Durch entsprechende Politiken solle es gelingen, dass globale Armut endet, soziale und geschlechterbezogene Ungleichheit abnimmt, die Landwirtschaft sich wandelt und eine vollständige Transition hin zu sauberen Energiequellen bis 2050 stattfindet; dafür seien laut den Autoren der Studie nur 2-4% des jährlichen BIP an gezielten Investitionen notwendig, Finanzquellen, die durch Vermögenssteuer und ähnliche Instrumente abgeschöpft werden sollen.

Insgesamt liege damit die Zukunft der Erde in unseren Händen der Gegenwart. Ein beherzter und konsequenter Wandel könne eine lebenswertere und gerechtere Welt hervorbringen, während eine Fortführung der momentanen Art und Weise des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens zukünftig in Armut, sozialen Konflikt, Leid und massiver Schädigung der Umwelt münde.

Eine ausführlichere Zusammenfassung findet ihr auf der Website des Club of Rome unter diesem Link:

Bildquelle: Wassily Kandinsky, Apokalyptische Reiter I, 1911, Tusche, Öl, Blattmetall hinter Glas, in bemaltem, originalem Rahmen, 29,5 cm x 20,3 cm, Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München, Gabriele Münter Stiftung 1957
https://www.lenbachhaus.de/entdecken/sammlung-online/detail/apokalyptische-reiter-i-30013101

SICoR Buchrezension – „The Structure of Scientific Revolutions“

Mit seinem Werk “The Structure of Scientific Revolutions” (dt. “Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen”) hat Thomas S. Kuhn im Jahre 1962 nachhaltig das unsrige Verständnis der Wissenschaften gewandelt und geprägt. Als promovierter Physiker wechselte er Anfang der 1950er-Jahre sein Feld hin zu dem Gebiet, das ihm berühmt machen sollte, der Geschichte und der Philosophie der Wissenschaft. Kuhns Werk stellt einen Versuch dar, das Bild der Wissenschaften als lineare Akkumulation von Wissen zu überwinden zugunsten eines Prozesses, der durch normal science und Revolutionen charakterisiert ist.

Kuhn beginnt mit der Beschreibung von normal science, also dem „normalen“ Wissenschaftsbetrieb, eine Aktivität, die nach Kuhn mit dem Lösen durch Rätsel vergleichbar seien, die innerhalb eines gewissen Wissensstandes der jeweiligen Wissenschaft offen sind und dabei vor allem aus der Bestimmung zentraler Tatsachen, der Anpassung von Tatsachen und Theorie sowie der Artikulation der theoretischen Grundalgen bestehen; damit strebe der normale Wissenschaftsbetrieb nicht nach Novitäten, was aber nicht deren Wichtigkeit unterminiere. Im Anschluss stellt Kuhn sein Konzept des Paradigmas vor. Dieses beschreibt er als eine Art Menge geteilter Überzeugungen, die innerhalb einer Wissenschaft zu einer gegebenen Zeit bestehen und die Existenz und Art und Weise des Angehens von wissenschaftlichen Problemen beschreiben. Diese Paradigmen werden nach Kuhn aber hinterfragt, wenn mit der Zeit immer mehr Anomalien auftreten, also zum Beispiel die Beobachtung von in der Welt auftretender Tatsachen, die nicht mit dem theoretischen Grundgerüst vereinbar sind. Dieses Hinterfragen mündet in Krisen, in denen das bisherige Paradigma nicht mehr ausreichend dem wissenschaftlichen „Normalbetrieb“ als Fundament dienen kann. Daraus ergibt sich mit dem Aufkommen eines neuen Paradigmas eine wissenschaftliche Revolution, wenn eine ausreichende große Anzahl der praktizierenden Wissenschaftler sich dem neuen Paradigma verschreibt, der so bezeichnete Paradigmenwechsel, gewissermaßen ein Wechsel in der Weltanschauung der praktizierenden Wissenschaftler.

Das Werk ist für alle lesenswert, die die wissenschaftliche Praxis und den wissenschaftlichen Fortschritt besser und differenzierter verstehen wollen. Dies erreicht Kuhn in einer relativ leichter und analytischer Sprache und mithilfe zahlreicher Rückgriffe auf viele praktische Beispiele aus der geschichtlichen Entwicklung der Physik und der Chemie. Dabei gelingt es ihm auch, durch ein differenzierteres und zumindest in den Augen vieler artgerechteres Bild der wissenschaftlichen Erkenntnis den Prozess der wissenschaftliche Wahrheitssuche zu nuancieren; obgleich einige Skeptiker sein Werk als Legitimation für ihr Denken nahmen, sollte man vielmehr schätzen, dass es Kuhn in überzeugender Weise gelingt zu zeigen, dass der wissenschaftliche Prozess zwar, wie so vieles, kein lineares Fortschreiten hin zu ewigen Wahrheit ist, aber ein kurvigen Weg in Richtung einer Wissenschaft, die immer mehr und immer zufriedenstellender die ihr auferlegten Aufgaben angehen kann. Diese Haltung kann gerade in den heutigen Zeiten dabei helfen, Kritik an idealisierenden Tendenzen in der Wissenschaft zu adressieren, ohne dabei in einen Nihilismus zu verfallen, und somit im Endeffekt das Vertrauen in die Wissenschaften zu stärken.

Kuhns “Structure” hat sich den Ruf eines der einflussreichsten Sachbücher des vergangenen Jahrhunderts erarbeitet, indem er den Verlauf der wissenschaftlichen Praxis und des wissenschaftlichen Fortschritts neu strukturierte und erklärte als einen Prozess, in welchem wissenschaftliche Revolutionen die Zeiten von normal science durchbrechen, eine Abkehr von bis dahin dominierenden linearen Akkumulationstheorien.  Auch wenn es umfangreiche Kritik erfahren hat, die auf Aspekte, wie die Abgrenzbarkeit zwischen Zeiten szientistischer Revolutionen und normal science oder auf Probleme mit der Kuhnschen Inkommensurabilitätsthese, abzielt, lässt sich der Einfluss des Buches auf unser Verständnis von Wissenschaft kaum abstreiten, womit es auch sechzig Jahre später noch von ununterbrochener Relevanz ist, wenngleich die Welt der Wissenschaften sich in den dazwischenliegenden Dekaden stark gewandelt hat.

Buchvorstellung – Die Welt von Gestern

Stefan Zweig Bild

 

Die ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts haben mit ihren Ereignissen die Entwicklung der Menschheit und besonders die Entwicklung Europas nachhaltig beeinflusst. Nach langen Friedensjahren, die mit Stabilität, einem ubiquitären Fortschrittsoptimismus und dem Aufleben der Kultur und Kunst einhergingen, brach mit den Ersten Weltkrieg und seinen Grauen eine neue Zeit über Europa herein, geprägt durch politische und wirtschaftliche Instabilität, aber auch durch den Aufstieg einer liberaleren Lebensführung und Moral, durch eine erneute Blütezeit der Kunst und Kultur und durch die Entstehung der „europäischen Idee“. Wenige Jahre später zerrüttete der Aufstieg des Faschismus alle vorherigen Strukturen und Ideen Europas und stürzte den Kontinent mit dem Beginn des Zweiten Weltkrieges endgültig ins Chaos.

In diesem Rahmen verfasste Stefan Zweig, ein überzeugter jüdischer Europäer und einer der begnadetsten Schriftsteller seiner Zeit, zwischen 1939 und 1942 seine Autobiographie „Die Welt von Gestern – Erinnerungen eines Europäers“ und schuf damit nicht nur ein Resümee für sein individuelles Leben, sondern vielmehr auch für die letzten Jahrzehnte Europas, denen neben vielen evidenten Grauen auch Schönheit, Simplizität, Ideen und Hoffnung innewohnten.

Zweig sammelt aus dem Exil heraus die Erinnerungen an seine vergangene Zeit, er erzählt groteske und bewegende Anekdoten, kommentiert das Zeitgeschehen und gibt einen authentischen Einblick in die europäische Kunst- und Kulturlandschaft zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Dabei gelingt es ihm, den Leser, obwohl er durchaus eine gewisse Distanz zu seinen Erinnerungen behält (wohl auch bedingt durch seine eigene zeitlich-räumliche Entfernung im Exil), in seinen Bann zu ziehen, mit einer packenden, aber dennoch nie emotionalisierenden Sprache, die zugleich zum Träumen und Fürchten einlädt.

Er beginnt sein Werk mit einer plastischen Beschreibung Wiens seiner Kindheit, eine Stadt der Kunst und Kultur, in der Lebensfreude, Optimismus und Gelassenheit herrschen. Im Anschluss folgen Abrechnungen mit der Bildung in der Schule und der Universität sowie der Sexualmoral des kaiserlich und königlichen Wiens und Nachzeichnungen seiner jungen Erwachsenenjahre im Europa vor dem ersten Weltkrieg als eine Zeit harmonischer und freundschaftlicher Stabilität, geprägt von Optimismus und Fortschrittsglauben. In diese Zeit bricht die Grundtragödie des 20. Jahrhunderts in Form des Ersten Weltkrieges herein. Mit diesem Ereignis ändert sich der Charakter des Buches; eine apolitische Lebensweise ist nicht mehr möglich, da die politischen Gegebenheiten der nächsten Jahrzehnte das Individuum stark einschränken, vor allem in seiner Freiheit. In diesem Rahmen gelingt es Stefan Zweig eine illustrierten Darstellung auf das Zeitgeschehen seiner Zeit zu entwerfen, die dem Leser durchaus erlaubt, einen eigenen und neuen Blickwinkel auf diese Jahrzehnte, aber auch auf die Historie insgesamt zu gewinnen. Die Aufzeichnungen beginnen mit Schilderungen zu der Hyperinflation, spannen bald einen Bogen zum Aufstieg des Faschismus und enden mit Zweigs Gang ins Exil auf der Flucht vor den Fängen des Nationalsozialismus.

Im Exil von Depression geplagt lässt Zweig seine Autobiographie mit einem Satz ausklingen, der versucht, versöhnlich mit seinem eigenen und dem Schicksal Europas abzuschließen: „Aber jeder Schatten ist im Letzten doch auch Kind des Lichts, und nur wer Helles und Dunkles, Krieg und Frieden, Aufstieg und Niedergang erfahren, nur der hat wahrhaft gelebt.“ Einige Monate später wählte er im Exil in Brasilien den Weg des Freitods.

Unabhängig von der inhärenten Historizität wohnt dem Werk aber auch ein grundlegend zeitloser Charakter inne. Es werden zeitlose Ideen vertreten und zeitlose Fragen debattiert, wie der Pazifismus, die Rolle der Kunst bzw. Kultur für eine Gesellschaft, das Schicksal des „jüdischen Volkes“ oder eine Auseinandersetzung mit dem politischen Extremismus, den Zweig, der sich selbst als eigentlich apolitisch charakterisierte, miterleben und erdulden musste. Ein besonderer Fokus kommt der Europa-Idee zu, die Zweig fast schon kosmopolitisch ausdehnt; ihm gelingt es, den ideellen Wert einer europäischen Gemeinschaft zu illustrieren, der uns Europäer, unabhängig von der dahinterstehenden politischen und wirtschaftlichen Macht, an die ursprüngliche Idee eines gemeinsamen Europas erinnern sollte, die in den heutigen Zeiten teilweise vergessen zu sein scheint. Des Weiteren findet eine starke vielschichtige Auseinandersetzung mit dem Konzept und der Bedeutung der individuellen Freiheit statt. Dieser Aspekt, der sich sowohl mit der äußeren Freiheit in der Bildung oder in der Sexualität als auch mit der Entdeckung der inneren Freiheit und der daraus resultierenden Entfaltung auseinandersetzt, darf uns auch in Zeiten, in denen der Wert der inneren und äußeren Freiheit des Individuums durch diverse Faktoren hinterfragt bzw. eingeschränkt wird, durchaus als Mahnung gelten.

Insgesamt handelt es sich um ein sprachlich sehr schön verfasstes Werk, welches auf inhaltlicher Ebene die Sichtweise eines involvierten, aber doch grundlegend apolitischen Europäers auf die so verhängnisvolle Episode für Europa aufzeigt; diese Epoche, die gleichzeitig so viele Chancen mit sich gebracht hatte, deren Realisierung aber erst nach dem Zweiten Weltkrieg auf breitere Ebene begann, in einer Welt, die nicht mehr die gleiche war.

Buchvorstellung – Bowling Alone

Bowling Alone

 

Bowling Alone: auch nach Corona?

In Corona Zeiten bedeutet Social Distancing einen erheblichen Verlust an Lebensqualität. Gerade jetzt bemerken wir, wie wichtig soziale Kontakte sind und wie sehr das vom Virus erzwungene Social Distancing uns beeinträchtigt. Die Welt wartet auf den Impfstoff, dann können wir uns endlich wieder treffen. Wirklich?

Schon vor 20 Jahren argumentierte der Politologe Robert Putnam in seinem Opus Magnus Bowling Alone für die USA, dass das soziale Kapital seit den 60-er Jahren abnehme. Während Kennedy 1965 in seiner Rede zur Amtseinführung noch stolz fordern konnte: „Ask not what your country can do for you – ask what you can do for your country“, sei die Gesellschaft um die Jahrtausendwende auseinander gedriftet. Menschen seien weniger altruistisch, sie würden einander weniger vertrauen und vereinsamen. Unsere Generation bowlt nicht mehr zusammen, sondern jeder für sich: Bowling Alone. Ganz ohne Corona. Ja, und?
Putnam argumentiert, soziale Verarmung des Individuums sei gefährlich für die Gesellschaft als Ganzes. Hohes soziales Kapital fördert uns vielfältig: es sorgt für bessere individuelle Chancen, sicherere, produktivere und gerechtere Gesellschaften und stabilere, gemäßigte politische Strukturen. Umgekehrt führt niedriges soziales Kapital zu Klassendenken, Populismus und Rassismus.

Meiner Meinung nach entstehen viele soziale Kontakte zufällig, z.B. durch die Uni, beim Sport oder bei Initiativen. Heute werden diese Zufallsbegegnungen immer seltener. In der S-Bahn hören wir Musik über Kopfhörer, lassen unsere Einkäufe nach Hause liefern und streamen auf Netflix, statt ins Kino zu gehen. Und nach Corona werden viele ganz von zu Hause aus arbeiten. Unser Leben wird durch neue Technologien zwar immer bequemer, aber gleichzeitig auch isolierter.

Obwohl Bowling Alone bereits vor 20 Jahren erschienen ist, bleibt das Thema aktuell. Soziales Miteinander ist keine Selbstverständlichkeit. Corona ist wie ein Brennglas, das nur Probleme aufzeigt, die davor schon existiert haben. Deswegen ist Corona auch eine Chance, die Probleme bewusst macht und uns so hoffentlich aktiviert.

– Paul

 

Empfehlung: „Wer wir waren“ von Roger Willemsen

Ich bin wie erschlagen nachdem ich dieses Buch in einem Rutsch gelesen habe. Das Buch reflektiert die Bedeutung des Lebens im 21. Jahrhundert – das Gefühl der Flüchtigkeit, das uns inzwischen bei fast allem begegnet und auch das Gefühl, verloren zu sein in einer informationsüberfluteten Welt ohne Privatsphäre.
„Wer wir waren“ ist in Buch, das mehrfach gelesen werden muss, weil jeder Satz so wertvoll ist und eines, das einen zum Weiterdenken verleitet. Ich kann es jedem empfehlen, der in einer unreal erscheinenden Zeit Reflexion sucht.
– Anna